Et y a rien de plus à dire

Et y a rien de plus à dire

Elphège Kongombé

Mehr gibt es nicht zu sagen, denn „Reden bringt nichts, wenn niemand dich versteht.“

Graphic Novel von Thierry Simon und Bruno Lavelle

Zweisprachige Lesung eingerichtet von Rémy Barché

In Et y a rien de plus à dire wird mit Tatsachen gesprochen:

Zwei Darstellerinnen, zwei Sprachen, eine Bühne. Sprache!

Und Bild.

Und sie.

Aber wer ist sie?

Ich bin durch Instagram gescrollt und sie war einfach so da. Sie stand sozusagen einfach so in meinem Zimmer, ohne viel zu sagen. Sie war nicht nur unhöflich, sondern auch brutal und extrem.

Gleichzeitig aber auch fragil und schön.

Sie ist eine Jugendliche und die zentrale Figur einer deutsch-französischen Lesung der Graphic Novel von Thierry Simon. Im Rahmen der 14. Ausgabe des Festival Primeurs

(http://www.festivalprimeurs.eu) erhielt Rémy Barché freie Hand bei der Inszenierung des Werks, die den Auftakt zum Festspiel frankophoner Gegenwartsdramatik bilden sollte.

Der Herbst des vergangenen Jahres stellte alle vor neue Herausforderungen. Das Festival wurde als Online-Variante aufgestellt und Rémy Barché kreierte Et y a rien de plus a dire als Videoproduktion. (https://carreau-forbach.com/de/7179-2/)

Diese sensible Arbeit steht als eigenständige Kreation und ist nicht als Versuch zu verstehen, den unmittelbaren Moment oder eine Ursprünglichkeit zu ersetzen. Weder die des Theaters, noch die des emotionalen Erlebens von Jugendlichen.

Ela zum Winkel, Elphège Kongombé

Struktur und Eigensinn

Eine Jugendliche, die keinem Klischee entspricht: zwei Aufenthalte in einer Psychiatrie, einer in einer Haftanstalt, der Vater scheint abwesend zu sein. Doch handelt es sich hier nicht um die Problematik eines sozialen Milieus. Vielmehr erhält die ungeschönte Darstellung der Strukturen, in denen bestimmte Jugendliche als schwer erziehbar klassifiziert werden, einen Raum. Wesentlich dabei ist das Erleben und Fühlen der Protagonistin in seiner ganzen Fülle.

Man erlebt wie sie Lügen und Beleidigungen nicht erträgt und ausbricht. Wie sie still wird. Wie sie schließlich Tristan kennenlernt und ein enges Band der Brüderlichkeit zu ihm knüpft, die Hoffnung verliert. Und wiederfindet. Man verfolgt, wie sich die Kunst, das Zeichnen und die Mode, das Schöne und die Sinnlichkeit aus ihrem Inneren heraus schälen.

Ihr langer und brutaler Weg kennzeichnet den Weg vieler junger Heranwachsender, die sich im Wesentlichen eines fühlen: unverstanden.

Gleichzeitig ist er ein Appell an die Jugend, die Hoffnung nicht aufzugeben, wie Simon selbst in einem Interview sagt und dabei an eine Jugend in St. Avold denkt, einem Ort, an dem aus strukturellen Gründen Kunst und Kultur nicht selbstverständlich sind und Kinder- und Jugendtheater eine Perspektive geben kann. (https://youtu.be/2MLpks3-GQk)

Fokus Sprache

Rémy Barché inszeniert die starke Sprache Thierry Simons, die durch ihre schlichte Prägnanz das Geschehen in seiner Ursprünglichkeit transportiert. Jugendsprache und deren adäquate Übersetzung (von Ela zum Winkel), sprachliche Bilder und synästhetische  Beschreibungen, aber auch Stille sitzen an Ort und Stelle. Sie brechen sich Bahn durch die Darstellerinnen Elphège Kongombé für den französischen und Ela zum Winkel für den deutschen Part. Bis auf wenige Spielszenen geht die Darstellung nicht über das gelesene Wort hinaus – doch kommt es dabei zu einem Dialog zwischen der französischen und der deutschen Sprache, zweier Nachbarsprachen, der besonders in der Grenzregion bedeutsam ist. Deutsch-französische Zusammenarbeit hat hier eine lange Geschichte, doch sie braucht immer wieder neue Impulse, insbesondere im Zusammenleben und für das große Geschenk, das sich interkulturelle Erfahrung nennt.

Die jeweilige Übersetzung ins Deutsche oder Französische ist durch Untertitel gelöst.

Thierry Simons und Bruno Lavelles Graphic Novel

Die freie Umsetzung der Graphic Novel ließ eine Überarbeitung von Thierry Simons Text zu. Die Zeichnungen Bruno Lavelles wurden von Stéphane Bordonaro als Videoschnitte auf Leinwände übertragen und koloriert.

Die Videoaufnahmen im Tonstudio des Carreau sind beinahe schmucklos, es gibt weder Kostüm, noch Dekor, wodurch sich die Fiktion frei entfalten kann und die an entsprechenden Stellen eingeblendeten Bilder in den Dialog mit der Lesung treten. Eine kontrastreiche Lichtdramaturgie spielt dabei eine große Rolle und ist Mittel zur Transformation der großen Emotionalität des Stückes. Für die klangliche Gestaltung war zudem Antoine Reibreverantwortlich. Er fügt der Verflechtung der Sprachen in Form seiner Musik eine weitere Ebene hinzu.

Die Umsetzung der Graphic Novel in Bild und Wort, und darüber hinaus zweisprachig, entfaltet eine hohe Komplexität, die so präzise gestaltet ist, dass sie die Zuschauer*innen direkt mit dem Erleben der jungen Protagonistin konfrontiert. Diese Qualität macht Et y a rien de plus à dire zu einem Stück, das die Bühne braucht. Es räumt mit einer elementaren Fehlannahme auf: das Erwachsene besser verstünden, was es bedeutet, jugendlich zu sein als Jugendliche selbst. Es greift an, erschüttert, berührt und kanalisiert dieses Gefühl des Verlorenseins. Es schenkt seinen Figuren schließlich kein Happy End, aber die Chance auf einen eigenen Weg.

Sarah Berger-Schütze


Zeichnung: Bruno Lavelle / Bearbeitung: Stéphane Bordonaro
Ela zum Winkel, Elphège Kongombé

Graphic Novel

Thierry Simon, Bruno Lavelle, Et y a rien de plus à dire, Manage/Belgien (Lansman Editeur) 2020

Inszenierung

Regie: Rémy Barché / Übersetzung: Ela zum Winkel / Video: Stéphane Bordonaro / Musik: Antoine Reibre / Mit: Elphège Kongombé, Ela zum Winkel  / Produktion: Compagnie Moon Palace, Le Carreau Scène nationale de Forbach et de l‘Est Mosellan / Leitung: Laurence Lang

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